©Kriminalroman von René B. Brunotte
Der Familie Lanchester stand noch der Urlaub bevor. Drei Wochen noch, dann würden sie dem Großstadtgewimmel entfliehen und in Monster einen herrlichen Urlaub genießen.
Monster lag ziemlich nahe an der Grenze nach Wales; die Umgebung kann man mit der norddeutschen Heide vergleichen, bloß, das Land hier ist ebener und es regnet häufiger.
Die Familie Lanchester bestand aus fünf Mitgliedern: Daddy Lanchester, sein Vorname war Gill, seine Frau hieß Kathy, der älteste Sohn Robert, den sie meistens Bob nannten, der jüngere Sohn Tommy und die Tochter Betty. Robert war 18, Tommy 12 und Betty 10 Jahre alt.
Vom Äußeren her schien es eine glückliche Familie zu sein, aber nur einzelne Personen, so meinten die Familienoberhäupter, kannten die anderen Seiten. So war es auch mit dem Familienoberhaupt. Es schien, als ob Mr. Lanchester dieses sei, aber nur zu einem Bruchteil. Das Meiste bestimmte Mrs. Lanchester.
Bob war auch sehr unzufrieden mit seinen „Alten“. Sie hatten oft etwas an ihm herumzunörgeln. Seine Haare sollten zu lang gewesen sein; anscheinend sollte er immer rumlaufen wie ein „Lackaffe“, der sich um die Mode einen Dreck kümmert. Seine Musik gefiel ihnen auch nicht; Indianergeheul und Urwaldmusik nannten sie die heutige moderne Musik; sie selber hörten Tag für Tag ihre Schnulzen, die die Lautsprecher nur verschmalzen. Dann gab er ihnen zu viel Geld aus, obgleich er genug verdiente, und sie nahmen es in Verwahr, und gaben ihm jeden Monat nur eine bestimmte Summe. Das würde wohl keinem gefallen, und so sann er auf Rache.
Auch störte ihn, daß er nur Samstags in die Discothec durfte; andere, auch sein zwei Jahre jüngerer Freund Slim, durften losgehen wann sie wollten. Keine Ahnung von der heutigen Zeit haben die Alten. Leben genauso wie früher.
„Kommt ja auch gar nicht in Frage, daß die heutige Jugend ( Jugend ist gut, hier wird man wie ein Kind behandelt ) es besser hat als die Alten“, sagte er zu sich. „Und apropos Jugend: ich komme mir vor wie ein Kind hier; bis 20 Uhr Fernsehen und der kleine Bruder darf noch die Science-Fiction-Filme um 21 Uhr sehen. Aber das werden sie mir noch büßen. Naja, erst mal was anderes machen“.
Er nahm seinen Taschenkalender, den er sich vorige Woche kaufte und schrieb Geschehenes und Vergangenes, das ihm wichtig für seine Memoiren schien, auf.
Am nächsten Tag, am 31.08.1970, einem Montag, war mal wieder ein wunderschöner Tag. Etwas diesig, blauer Himmel und warm, fast heiß. Ein fast ungewöhnlicher Tag in diesem ungünstigen Klima. Eins stand schon an diesem Morgen fest: Bob würde am Nachmittag in's neue Bad gehen, das letzten Sommer am Gregory Hill gebaut wurde. Sein Onkel war schon öfters dagewesen und schwärmte davon. Naja, hoffentlich bleibt das Wetter auch so, dachte er bei sich, als er ging. In der Schule verlief es auch wie immer, und als er gegen 14 Uhr auf dem Nachhauseweg war, war das Wetter immer noch gut.
"Mit wem kann man mal losgehen?" dachte er bei sich. "Ach ja, mit Jim", fiel ihm ein. Er ging noch schnell zu Jim rüber. Auf dem Weg traf er noch Miss Jackson, die mit Betty und einer Nachbarin irgendwo hin ging. Also mußte seine Alte ja dann schon um 14 Uhr im Laden sein. Jetzt war er bei Jim. Hoffentlich ist er da, dachte er, als er klingelte.
"Good day Robert," sagte Mrs. Shannon. "Ist Jim da?" fragte Bob. "Ja, der ist da, komm man rein Bob." Bob ging zu Jim in's Zimmer, der von den Temptations gerade ein Sieben-Minuten-Stück hörte. "Hallo Bob, wie gehts?" "Hallo Jim, mir geht es gut, danke. Wie wär's, kommst du mit schwimmen? Ich wollte zum Gregory Hill zu neuen Badeanstalt; mein Onkel sagt, die ist klasse." "Ich würde ja gerne mitkommen," erwiderte Jim, "aber ich habe mich heute schon verabredet. Einer meiner Freunde zieht um, und er will mir und ein paar anderen sein selbst gebautes Modellboot vorführen. Ich habe schon einmal abgesagt, heute muß ich aber hingehen, da er morgen schon umzieht." "Naja," sagte Bob, "eben Pech gehabt. Du, das Stück von den Temptations ist gut." "Ja, es geht sieben Minuten." "Ganz schön lang, aber ich habe ein Längeres, Get Ready von den Rare Earth, es ist 21 1/2 Minuten lang." "Mensch, das mußt du mir irgendwann vorspielen." "Mach ich," sagte Bob."Du, noch was anderes, kommst du Donnerstag mit ins Kino, einen Western ansehen?" "Ja, ich komm' mit, wann fängt es dann an?" Bob: "Um 18.15 Uhr; also treffen wir uns um 17.30 Uhr vor meiner Tür. Jack kommt auch mit, und Slim muß ich noch mal fragen." "Ist gut," sagte Jim. "Ich muß jetzt mal gehen, ich will mal sehen, ob Slim da ist, dann will ich noch Mungo Jerry aufnehmen; vielleicht kommt Slim ja mit zum Baden. Naja, bis Donnerstag, bye." "Bye, bis Donnerstag," sagte Jim, und Bob ging.
Schon nach zwei war es, als er nach Hause kam, und seine Stiefmutter war schon im Laden. Er hatte aber noch Brot in der Tasche. Nachdem er seine Tasche reingebracht hatte, ging er zu Slim rauf, der nur eine Etage höher wohnte. Slim machte die Tür auf, nachdem Bob geklingelt hatte:"Na, Tag." "Tag," sagte Bob, "hast du Zeit? Ich will mal Mungo Jerry aufnehmen, beide Seiten. Ich habe nämlich eine neue Cassette." "Ich habe aber nicht lange Zeit," sagte Slim, "ich muß noch arbeiten, um 3 Uhr." "Ach, das ist ja Mist, ich wollte nämlich fragen, ob du mit zum Baden kommst, in die neue Badeanstalt am Gregory Hill. Kannst du nicht schon um halb drei hingehen zur Arbeit?" "Ja, ich geh' früher hin, dann hole ich dich ab."
Dann spielten sie die Platte und Bob nahm sie auf. Slim wollte sie später aufnehmen, da sie icht viel Zeit hatten. So um vier Uhr waren sie dann fertig und fuhren los. Bob hatte die Platte mit, die er sich von seiner Mutter geliehen hatte und brachte sie mit Slim noch hin. Seine Mam arbeitete in einer Gaststätte, und die beiden bekamen noch ein Ale spendiert. Dann führen sie zum Gregory Hill; Bob fuhr als erster, da Slim den Weg nicht wußte. Sie stellten die Räder bei der Radwache ab und gingen in's Bad.
Nachdem sie ihre Badehosen anhatten, gingen sie gleich in's Wasser, sprangen vom Turm und schwammen umher. Dann gingen sie zu ihren Sachen und hörten Musik; Slim hatte nämlich seinen Kassettenrecorder mitgenommen, und sie rauchten eine Chesterfield, so war die Stammarke.
"Nicht gute Weiber da vorn, was?" sagte Bob. "Nee, viel zu fett," erwiderte Slim. - "Du, Slim, sieh mal da hinten, da liegen dufte Bienen, da gehen wir auch hin; außerdem ist da mehr Sonne." - "Mir ist es egal," erwiderte Slim, "meinetwegen".
Sie nahmen ihren Kram und legten sich neben die Weiber.
"Hoffentlich springt auch eine an," meinte Bob, während Slim den Kassettenrecorder in Gange brachte. Dann dröhnte die Musik aus dem Ding, Get Ready von den Rare Earth spielten sie, ein Mammuttitel von 21 1/2 Minuten, ein astreines Ding. Nach ein paar Zügen von den Glimmstengeln bekamen sie Besuch von einer hübschen Dame.
"Macht mal die MUsik lauter," sagte sie einfach, und das machten sie dann auch. " Was habt ihr denn da für Scheißmusik? Habt ihr nichts besseres?"
"Haben wir auch," sagte Slim, "aber dieses ist auch klasse, du hast ja keinen Geschmack." - "Wie heißt du überhaupt?" fragte Robert sie dann. - "Ich? Ich heiß' Ann, und ihr?" - "Ich heiße Robert, aber meiner Freunde nennen mich Bob; kannst du auch sagen", meinte Bob, dem das Girl zu gefallen schien. - "Und ich heiße Slim", ergänzte dieser.
Jetzt nahm Bob eine andere Kassette und legte sie ein; sie hörten Mungo Jerry, Creedence Clearwater Revival und andere. Nach einiger zeit fragte Ann:"Kommt ihr mit in's Wasser?" - Bob:"Ja, wir kommen mit; los Slim, auf in's kühle Naß." - Sie gingen über die Wiese und unterhielten sich auf dem Weg. Ann erzählte von ihrem Freund, den sie loswerden wollte, und es nicht schaffte, da sie noch keinen anderen hatte.
"Nimm mich doch, ich bin noch frei, "scherzte Bob und schon sprangen sie ins Wasser. Slim ging schon nach einiger Zeit wieder an Land, er hatte keine Lust mehr. Bob und Ann schwammen noch weiter im Becken, und kamen zur Abgrenzung vom Schwimmer zum Nichtschwimmer. Sie bespritzten sich mit Wasser, wobei sie sich näher kamen. Und auf einmal lag Ann in seinen Armen und sie küßten sich.
Endlich hat sie angebissen, dachte Robert so bei sich. Sie schwammen noch eine Weile zusammen und küßten sich immer wieder. Dann wude es Zeit, daß sie nach Hause kamen. Sie zogen sich an und gingen zum Räderparkplatz. Bob mußte nochj unbedingt ihre Adresse haben, oder ihre Telefonnummer, wußte aber nicht, wodrauf. Da machte Slim einen Vorschlag:"Schreib' sie doch auf die Innenseite von einer Gepäcktasche." - "Mensch, das ist die Idee," rief Bob vor Begeisterung, und so wurde es dann auch gemacht.
Während der ganzen Fahrt unterhielten sich die Beiden über die "Neue"; bei Bob war es jetzt die sechste Freundin, die er seit, sagen wir, fast einem Jahr jetzt, in Betrieb hatte. "Ich hab' mal wieder den richtigen Riecher gehabt," sagte er. - "Ja, du hast unwahrscheinliches Glück gehabt," erwiderte Slim; "Ging ja auch ganz schön schnell bei dir". - "Finde ich auch. Naja, erst mal wieder 'ne Alte an der Leine, wurde ja auch Zeit."
Zu Hause abgekommen, stellten sie ihre Räder weg und gingen hoch in ihre Wohnungen. "Bis irgendwann, Slim,". - "Ja, komm' mal wieder hoch; bye Bob."
Bob holte drinnen erst mal tief Luft und zog Bilanz: es war ein erfolgreicher Tag für ihn gewesen; der wird 100%ig in die Geschichte seiner Memoiren eingehen. Mit fast strahlender Mine verbrachte er den Rest des Abends, die Abendbrotzeit und Fernsehzeit. Nach dem Fernsehen schrieb er dieses wichtige Ereignis gleich in sein Tagebuch, in dem er seine Memoiren sammelte, hinein. Mit einem müden Lächeln auf dem Gesicht lag er dann im Bett und schlief, um am anderen Morgen wieder fit zu sein.
Die folgenden Tage verliefen fast wie gewöhnlich, aber dann kam wieder unangenehme und angenehme. Zuerst kam der angenehme für ihn. Seine Ann hatte er immer noch; sie war ein sehr anhängliches Mädchen, das viel von ihm hielt. Sie verstanden sich sehr gut und für Ann war es immer sehr einsam, wenn sie sich ein paar Tage nicht sahen.
Eines Tages kam er aus der Schule und rief bei Ann an. Er hatte auch schon Sehnsucht nach ihr, obwohl sie sich erst am Vortag gesehen hatten. Sie wollten sich treffen, und sie wollte mit ihr noch in's Freibad gehen. - "Bei der Kälte, fast Oktober, bade ich doch nicht mehr draußen, du. Ich komme so mit hinein." - "Ist gut Bob, um viertel nach drei am Gregory Hill."
Und nach einem halbstündigen Telefonat ging er nach Hause. - "Ich gehe um drei noch weg, ich treffe mich mit meinem Girl." - Da bölkte seine Alte los: "Erst gehst du noch zur Apotheke und bringst Wäsche zum Waschen. Und warte, du kannst noch Terpentin mitberingen, und zum Briefkasten gehst du auch noch. Kannst ja auch mal was für uns tun und nicht jeden Tag in der Weltgeschichte rumrennen."
Am liebsten hätte er ihr eins in die Fresse gehauen, denn jetzt sollte er auch noch Sklavendienste verrichten; die hundert Pfund Sterling im Monat, die er abgeben mußte, waren wohl noch zu wenig. Und essen sollte er auch noch. Darauf mußte er noch zehn Minuten warten, so daß es schon zwanzig vor drei war; und dann war es auch noch superheiß und viel zu viel.
Davon kriegt man ja das kalte Kotzen, dachte er. Um drei hatte er den letzten, immer noch heißen Bissen runter und rannte wie ein Irrer los. Er rief noch Ann an und sagte ihr, daß er später kommen werde. Unterwegs rauchte er erst mal eine und schmiedete Rachepläne. Nach dem ersten Dödelkram rannte er mehr als er ging zur Wäscherei hinter der Castle-Street. Dann raste er los zum Gregory Hill. Um zwanzig vor vier war er endlich da, schwitzend wie ein quer durch den Urwald gerannter Affe.
"Tag mein Schatz," sagte er und gab ihr einen Kuß. - "Tag Bob," erwiderte sie, "Du machst ja ein so ärgerliches Gesicht. Ist es wegen deinen Eltern?"- "Genau, die Alten können mich mal alle da, wo ich schön bin." - "Aber nicht doch Bob; komm' mit rein zum Swimmingpool. Ich habe auch noch eine Überraschung für dich, das wird dich vielleicht umstimmen." - "Hoffentlich," sagte Bob, und sie gingen in's Bad hinein.
"Wo bleibt denn die Überraschung,"fragte er ungeduldig. - "Kommt noch. Du, ihr fahrt doch in ein paar Tagen? Oder nicht?" - "Doch, ja, am Samstag Nachmittag geht's los. Und mal wieder nach Monster. Stinklangweilig." - "Schreibst du mir auch mal Bob? Jede Woche einmal?" - "Ja, mach ich, ist doch klar."
Sie waren bei den Kabinen angelangt und schwupp, zog Ann Bob mit hinein. Sein Gesicht leuchtete auf. "Ja, das ist sie, ich sehe es an deinem Gesicht," sagte Ann leise und sah ihn an; sein Gesicht sagte ihr alles. Dann schwiegen sie und fielen sich plötzlich in die Arme und küßten sich.
"Du, Bob, ich hab' dich ganz doll lieb." - "Ich dich auch Ann, und ich bin froh, dich zu haben." Dann begann sich Ann auszuziehen. Auf einmal stand sie so vor Bob, wie Gott sie geschaffen hatte. Bob war völlig verblüfft und wußte nicht, was er sagen sollte. Dann sagte er:"Soll es jetzt geschehen?" Sie nickte stumm.
Den Rest der Woche wurde mit der Arbeit verbracht, aber er rief jeden Tag bei ihr an, und sie freute sich sehr. Dann war es soweit: Familie Lanchester fuhr in Urlaub. Am Samstag Nachmittag fuhren sie los. Bob mit dem Fahrrad, der Rest der Familie wurde von Daddy Lanchester's Kollegen Mower mit dem Wagen hingefahren.
Als Bob dort anlangte, war Mr. Mower auch noch dort. Mr. Mower spendierte auch ihm ein Ale und Bob dachte: Ziemlich netter Mensch; was habe ich bloß verbrochen, daß ich an solche Idioten gelangt bin? Aber das war nun mal Schicksal für Bob. Das Schicksal spielt nun mal öfters jemand einen Streich. So zum Abend fuhr Mower wieder los und man wandt sich seiner Beschäftigung zu. Bob machte das Radio an und hörte Musik.
"Jetzt jault seine Kiste schon wieder; mach das Ding leiser!" krähte Kathy. Das war zuviel für ihn. Er machte das Radio aus und ging zu seiner Hütte, die er sich letztes Jahr baute. Dort hatte er noch ein altes Fahrtenmesser liegen, schon etwas abgerostet, das machte aber nichts.
"Jetzt mach' ich die Alten alle, jetzt gibt es kein Pardon mehr," sagte er zu sich. Fast verliebt sah er das Messer in seiner Faust an und gin mit seinem halben Robotergang auf das Haus zu. Der Alte stand gerade in der Haustür und starrte in die Lüfte, wahrscheinlich nach Vögeln. Vielleicht ist ja einer von seinen dabei, dachte Robert.
Er hob seinen Arem und ließ ihn bltzschnell auf Mr. Lanchester's Brust niedersausen, und zog das Meser ebensoschnell wieder heraus. Es war fast kein Blut am Messer, so schnell ging es. Mr. Lanchester röchelte kurz auf, ein Blutstrahl schoß aus seiner Brust und er sank neben dem Türpfosten nieder. "Der wäre alle," sagte Bob zu sich, schlich sich in's Zimmer und versteckte sich hinter einem Sessel. Da kam auch schon Mrs. Lanchester und wollte die anderen zum Abendessen holen. Sie sah ihren Mann blutüberströmt am Boden liegen. "Gill," schrie sie. "Gill, sag' doch was." Doch er konnte nichts mehr sagen. Weinend sank sie neben ihm in die Knie.
Doch Bob ließ das Geplärre kalt. Er schlich heran und ließ das Messer in ihren Rücken fahren; blitzschnell zog er es heraus, wischte das Blut an Kathy's Rock ab und steckte das Messer wieder in die Messertasche, die er am Gürtel trug. Die Alte röchelte noch ein wenig, und verstummte dann. "Für immer," sagte Bob und trank zufrieden einen Schluck Bier. "Und jetzt noch Tommy und Betty, sonst werden die mir noch lästig."
Er ging nach hinten zur Höhle, wo Tommy und Betty spielten. Ohne zu zögern, damit er nicht unnötig Zeit verlor, stach er die Beiden wie Schweine ab. Dann wischte er die Blutspuren am Messer in einen alten Lappen und verbrannte ihn. Er ging in die Küche, nachdem er seine Gepäcktaschen für's Fahrrad geholt hatte, und suchte sich Eßbares zusammen. In die eine Tasche kamen die Eßwaren, in die andere eine andere Hose, ein Paar Schuhe, Sonnenbrille und Jacke. Noch einen Apfel essend, suchte er sich sämtliches Geld im Haus zusammen; es waren fast 650 Pfund Sterling. Da konnte man weit mit kommen.
Er schwang sich auf sein startbereites Fahrrad und fuhr los, Richtung Norden. Bob wollte nach Schottland und dort in den Bergen leben. Dort würde ihn bestimmt niemand suchen.
Die Flucht
Im Dorf holte er sich noch ein paar Sachen, um Unterwegs etwas zu essen zu haben; dann brauchte er nicht so oft anhalten, sondern kam schnell nach Schottland. Im Laden sah er Postkarten. "Mensch, ich könnte ja noch Ann schreiben, und Jim und Slim," sagte er sich. "Ach, Mist. Ann brauche ich nicht mehr. Die alte ist mir langweilig geworden. Aber Jim und Slim, ja auch Jack."
Er holte drei Karten und schrieb auf jede: Viele Grüße aus dem Urlaub sendet Euch Robert Lanchester. Werde erst nach einiger Zeit erscheinen, habe Urlaub verlängert. Dann holte er noch drei Briefmarken, klebte sie auf die Karten und steckte sie in den Briefkasten. Danach trat er kräftig in die Pedale. Es war schon sechs Uhr, aber er wollte mindestens noch 50 Meilen zurücklegen, bevor er in den Wäldern übernachten wollte.
Nachdem er auch schon durch Liberry gefahren war, fiel ihm ein, daß er nur noch wenig Flickzeug für sein treues Stahlroß hatte. "Ich werde mir morgen früh im nächsten Dorf etwas kaufen; hoffentlich gibt es dort so etwas," sagte er zu sich. Es war eine herrliche Landschaft, durch die er fuhr. Wald, Wiesen und Felder wechselten sich ab. Da sah er in der Ferne am Horizont einen schwarzen Streifen. Das war bestimmt ein größerer Wald. Bis dort würde er noch fahren und dort übernachten.
Nach 15 Minuten hatte er es geschafft, er hatte auch schon 52,5 Meilen zurückgelegt. Er fuhr ein Stück in den Wald hinein, suchte sich zwischen dem hohen Farnkraut ein Plätzchen. Es war hoch genug, ihn ganz zu verdecken. Bob aß noch etwas, rauchte eine Chesterfield und legte sich zum Schlafen.
Ein paar Tage später erhielt sein Freund Jack die Karte. Er wunderte sich, daß Bob so einfach seinen Urlaub verlängern konnte. Er wolltre gern wissen, was dahintersteckt, andererseits wollte er solche Sachen begießen, und das konnte man am Besten mit Bob. "Du, Mom, ich fahre morgen mal nach Monster und besuche meinen Freund Bob," rief er in die Küche. "Ist gut, Jackie-Boy, ich pack' dir morgen früh gleich ein paar Brote für Unterwegs ein."
Am nächsten Morgen machte Jack sich fertig und fuhr, auch mit dem Rad, los. Nach zwei Stunden hatte er es geschafft. Er fuhr durch die Pforte und stellte sein Rad an einem Baum ab. Dann ging er um das Haus herum - und fiel fast in Ohnmacht., denn in der Tür lagen zwei Leichen, an denen sich schon Würmer und sonstiges Ungeziefer zu schaffen machten. Er gin schnell zu Bob's Hütte, um sich dort erst einmal hinzusetzen. Aber als er dort ankam, verschlug es ihm fast den Atem, denn dort lagen zwei Kinderleichen, auch schon angefressen.
Jack stürzte zu seinem Rad und fuhr so schnell er konnte in's Dorf. "Bloß schnell weg von dem Ort des Grauens," sagte er sich, ganz außer Atem. Im Dorf benachrigte er die Polizei.
Bob hatte am Abend des dritten Tages schon fast 375 Meilen zurückgelegt. Es war gegen 18.45 Uhr, als er am Eden, der in den Solway-Busen mündete, Rast machte. Er war ziemlich abgeschlafft, denn er mußte tagsüber kräftig in die Pedale treten, um zu entkommen. Er überlegte. Es waren noch 20 Meilen bis zur Grenze nach Schottland. Bob wollte dann hinüber in's Cheviotgebirge, zu dem 840 Meter hohen Broadlaw. Dort würde er sich erst einmal ein paar Tage Ruhe gönnen. Ohne noch etwas zu essen, fiel er in einen tiefen Schlaf.
Am nächsten Morgen wachte er erst auf, als es schon 9 Uhr war. Er legte seine Kleidung ab und nahm ein erfrischendes Bad im Eden. Dann aß er seinen letzten Vorrat auf. "Im nächsten Dorf muß ich mir erst einmal etwas holen." Er zählte sein Geld und stellt fest, daß er sehr sparsam gewesen war, denn er hatte noch 635 Pfund Sterling. Noch kauend schwang Bob sich auf sein Rad und fuhr frohen Mutes Richtung Norden.
Die Dorfpolizei hatte einen solchen großen und interessanten Fall an Scotland Yard abzugeben. Inspector McGun machte sich gleich auf den Weg. Es war ein ziemliches Stück von London nach Monster. Er mußte ca. 100 Meilen fahren und kam erst nach zwei Stunden in Monster an. Jack hatte ein Zimmer von der Polizei in Monster erhalten und hatte zu Hause angerufen, daß er wahrscheinlich einige Tage bleiben müsse. Inspektor McGun meinte: "Wahrscheinlich wirst Du uns ein gutes Stück weiterhelfen können in dem Fall." - Jack fand das interessant und meinte: "Aber ob Bob es war, ist doch noch zweifelhaft. Es könnte aber sein. Kommen Sie doch mit auf mein Zimmer, dann erzähle ich Ihnen etwas über Robert Lanchester. Demnach könnte er ein Motiv haben."
Also gingen die Beiden in die Pension und Jack erzählte von Bob und wie er es zu Hause hatte, und wie man dort mit ihm verkehrte. Der Inspektor war ganz ohr und hin und wieder meinte er: "Interessant, wirklich sehr interessant, was Du mir da erzählst." - Nachdem der Inspektor alles erfahren hatte, meinte er zu Jack: "Ich könnte mir denken, daß es Robert war, nachdem was Du mir da erzählt hast. Ein Motiv hätte er ja gehabt. Wahrscheinlich hat er das ganze Geld von seinen Eltern mitgenommen, sich verpflegt und flüchtet mit dem Fahrrad irgendwo hin." - Da warf Jack ein: "Wahrscheinlich flüchtet er in die schottischen Berge, denn wenn er nach Süden fährt, ist er bald an der Küste. Wenn er dann nach Frankreich übersetzen wollte, müßte er daran denken, daß wahrscheinlich schon die Polizei in anderen Städten verständigt wäre und sie würde ihn aufgreifen." - "Da hast Du gar nicht so unrecht, Jack," erwiderte Inspektor McGun.
Nach dieser Unterredung gab er seinen Leuten, die inzwischen auch eingetroffen waren, Anweisung, nach dem Haus der Lanchesters zu fahren und mit den Untersuchungen zu beginnen. Er selbst sah sich die Sache auch noch an. "Aber er versteht etwas vom Messerstechen. Genau getroffen, jedesmal." "Diese Fertigkeiten hat Robert bestimmt aus den Karl-May-Büchern, die er für sein Leben gern liest. Er hat 19 Stück davon," erklärte Jack. - "Möglich, möglich. Warten wir die Untersuchungen ab," sagte McGun. Die Ermittlungen am Tatort wurden abgeschlossen, brachten aber nicht viel an's Tageslicht. Graw, ein Polizist, berichtete Inspektor McGun: "Spuren sind keine hinterlassen worden. Nur sämtliches Geld und einige Essenswaren fehlen. Weiter konnten wir nichts ermitteln, Herr Inspektor." - "Ist gut, danke schön. Sie können jetzt auf Ihr Zimmer gehen," und zu Jack sagte er: "Bleibt nur zu hoffen, daß Bob es war, dann werden wir es vielleicht nicht allzu schwer haben." - "Vielleicht," sagte Jack. - "Dann wollen wir man schlafen gehen, und morgen einige Dorfbewohner fragen; vielleicht erfahren wir dann mehr. Good-night Jack." - "Good-night Inspektor".
Am nächsten Morgen erfuhren sie, daß Bob noch etwas im Dorf gekauft hatte. "Dann fuhr er mit dem Rad in Richtung Norden, auf der Hauptstraße," erzählte die Verkäuferin. - "Vielen Dank für die Auskunft," sagte der Inspektor und ging mit ack in die Pension zurück. Zu Jack sagte er dort: "Ich rufe jetzt bei meinem Assisten an und bestelle ihn hierher, Dann essen wir Mittag und dann kannst Du mit meinen Leuten nach Hause fahren; Dein Fahrrad kommt auf den Mannschaftswagen. Ich fahre dann mit John Hyde, meinem Assistenten nach Schottland und arbeite mit der dortigen Polizei weiter." - "Geht in Ordnung," sagte Jack; "Hoffentlich bekommt Bob auch mildernde Umstände, wenn man ihn findet." - "Das nehme ich doch an," meinte McGun, "und bisher habe ich jeden Fall gelöst." - Und damit war das Gespräch beendet. Jack ging um seine Sachen fertig zu machen, und der Inspektor arbeitete an der Akte Robert Lanchester weiter.
Nachdem Bob kurz vor der Grenze erst einmal nach links abbog, um an's Meer zu kommen, sah er am Strand ein Ruderboot. EinGedanke schoß ihm in den Kopf: etwa 10 Meilen vor der Küste lagen ein paar kleine bewaldete Inseln. Dort würde er hinüberrudern und dort leben.Aber, dachte er, dann brauche ich noch Werkzeug und eine Angel und was man sonst noch so braucht, um dort zu leben. Blitzschnell machte er kehrt mit dem Rad und fuhr in's nächste Dorf, Smithtown; er kaufte dort alles ein, was er brauchte. Von Gabel und Löffel bis zur Petroleumlampe, und vom Nähzeug bis zum Hemd, Hose, Felljacke und Schuhe.
Alleine konnte er es gar nicht alles zum Boot schaffen. Da sah er vor dem Laden einen etwa 10jährigen Jungen mit einem Karren zum Ziehen. "Hallo Boy", rief Bob, "komm doch einmal her." Der Junge kam auf ihn zu. Bob sagte:"Kannst Du mir den Karren für etwa eine halbe Stunde leihen? Du bekommst 1 Pfund Sterling dafür, und kannst solange Eis essen gehen." Der Junge nickte:"Abgemacht. In einer halben Stunde bringst Du den Wagen vor den Eisladen." - "Okay" sagte Bob, gab ihm ein Pfund und fing an, die Sachen aufzuladen, während der Junge in den Eisladen ging. Die Deichsel des Wagens klemmte er auf den Gepäckträger des Fahrrades und fuhr zum Strand zurück. Dort lud er die Sachen wieder aus und versteckte sie in einem nahe liegenden Gebüsch. Dann fuhr er mit dem Karren in's Dorf zurück. Der Junge kam gerade aus dem Eisladen heraus. "Na Kleiner, hat's geschmeckt?" fragte Bob. - Ja, es hat gut geschmeckt." - "Fein; bitte schön, da hast Du Deinen Wagen wieder. Ich habe Die Sachen eben zur Hauptstraße gefahren. Dort wartet ein Freund von mir. Wir wollen mit dem Auto nämlich nach Wales fahren. Mach's gut, Boy, good-bye." - "Good-bye" sagte auch der Junge.
Das mit dem Wagen nach Wales stimmte nicht, aber Bob wollte die Spur von sich abbringen. In 10 Minuten war er wieder beim Boot und lud die Sachen ein. Das Boot war groß genug, um auch sein Fahrrad mit aufzunehmen. Aber es war schwer beladen und er hoffte, daß die See ruhig bleiben würde. Er verwischte seine Spuren am Strand, stieg in's Boot und ruderte los. Anfangs ging es etwas schwer, aber als er auf offener See war, ruderte es sich leichter. In der Abenddämmerung hatte er die Inseln erreicht. Es war 21 Uhr und er hatte ununterbrochen acht Stunden lang gerudert. Völlig erschöpft und schweißüberströmt zog er das Boot an Land. Er holte sich die beiden Decken, die er sich gekauft hatte, eine Steppdecke und eine Wolldecke heraus und legte sich unter einen Baum schlafen. Er fiel sofort in einen tiefen Schlaf.
In der Nahct wurde er plötzlich von einem schweren Unwetter geweckt. Es donnerte und blitzte, der Regen fiel in schweren Tropfen und der Wind pfiff durch die Bäume. Auch in Smithtown tobte das Unwetter. Am nächsten Morgen war es wieder so gutes Wetter, als wäre nie etwas gewesen. Als der Fischer Mr. Ball an den Strand ging, sah er, daß sein Boot verschwunden war. "So ein Mist," fluchte er, "bestimmt ist es in die offene See getrieben worden." - Und darum kümmerte er sich auch nicht weiter darum. Vielleicht wird es irgendwo wieder an Land getrieben, dachte er, denn der Wind stand auf die Küste zu.
Am nächsten Morgen, nachdem Bob gefrühstückt hatte, machte er sich daran, einen guten Platz zu suchen, wo er eine Hütte bauen konnte. Als er so durch den Wald streifte, sah er mancherlei Wild. "Auf den anderen Inseln ist bestimmt auch noch Wild", dachte er. Nach einer Stunde hatte er einen Platz gefunden und fuhr mit dem Rad die anderen Sachen dorthin. Das Boot versteckte er in einem Gebüsch am Strand.
Nach einer Woche hatte er eine gute, wetterfeste Hütte errichtet und einen Garten angelegt, wo er Sämereien einpflanzte. Außerdem ging er täglich zum Angeln, manchmal fuhr er auch mit dem Boot hinaus. Mit Fallen und Flitzbogen erlegte er ab und zu Wild; er führte ein gutes Leben auf der kleinen Insel.
Inspector McGun, der in Schottland mit der dortigen Polizei arbeitete, kam in dem Fall überhaupt nicht voran. Er sagte zu Mr. Hugh, einem Kriminalrat in Schottland:"Das der Bursche nirgends auftaucht, das gibt's doch gar nicht. Irgendwo muß er doch sein." - "Ja, aber mehr können wir im Augenblick nicht tun. Wir müssen den Lauf der Dinge abwarten." - McGun mußte das einsehen und fuhr nach London zurück, um erst einmal andere Fälle zu lösen.
Nachwort:
Nach drei Jahren wollte es der Zufall, daß vor Bobs Inseln ein Schiff auf ein Riff lief und sank. Nur ein 17jähriges Mädchen konnte sich an einem Balken retten. Bob stand zufällig am Strand und sah das Unglück. Er holte das Mädchen mit seinem Boot auf seine Insel, und Betty, so hieß das Mädchen, gefiel dieses Leben auch. So wurden sie dann ein glückliches Paar und später eine kinderreiche Familie.
Schon lange danach, als Inspektor McGun pensioniert war, zerbrach er sich noch immer den Kopf, wo Robert Lanchester geblieben war. Alle Fälle in seiner Laufbahn hatte er gelöst, nur diesen Fall, den Urlaub ohne Rückkehr, Fall Robert Lanchester, hatte er nie lösen können. - "Aber den wird wohl nie einer lösen!" tröstete er sich immer.
Ende